Mobilität der Zukunft

Gestern Abend war der Zukunfts- und Mobilitätsforscher Prof. Dr. Stephan Rammler auf Einladung unserer Radinitiative zu Gast in Buchholz. Auf der Bühne der Empore stellte er sich den Fragen von Peter Eckhoff (Initiative „Buchholz fährt Rad“) und referierte vor knapp 150 Gästen über die Notwendigkeit eines Kulturwandels zu einer wirklich intelligenten Mobilität der Zukunft. Seine wesentlichen Gedanken möchten wir im Folgenden zusammenfassen.

Das Automobil erlebte in den letzten 100 Jahren einen Siegeszug, welcher nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs unter dem Motto „Freie Fahrt für freie Bürger“ richtig an Fahrt aufnahm. Der Wiederaufbau und die Entwicklung unserer Städte folgte dem Ziel der „autogerechten Stadt“. So wurden bestehende Straßen asphaltiert, Parkplätze und Parkhäuser geschaffen und Umgehungsstraßen sowie Autobahnen gebaut. Inzwischen hat fast jeder Haushalt mindestens ein Auto, das selbstbestimmt, wann immer man will, genutzt werden kann, um sicher und schnell von A nach B zu kommen.

Nun steht aber das, was die Automobilität bislang ausmachte, in Frage, nämlich:

  • Das Auto selbst zu fahren.
  • Das Auto selbst zu besitzen.
  • Die Technologie des Verbrennungsmotors.

Grund dafür sind drei weltweit beobachtbare Megatrends:

Bevölkerungswachstum
Die Weltbevölkerung wird zukünftig weiter ansteigen. Gemäß UN-Prognose werden wir bis 2050 auf eine Weltbevölkerung von 9,7 Mrd. Menschen anwachsen, bis 2100 sogar auf über 11 Mrd. Menschen. Derzeit sind wir ca. 7,5 Mrd. Menschen auf der Erde.
Durch dieses enorme Bevölkerungswachstum wird auch die Urbanisierung weiter voranschreiten und zu einem Platzproblem in den Siedlungsgebieten führen. In den Ballungsräumen der Megacitys wird es einfach keinen Platz mehr dafür geben, dass jeder sein eigenes Auto besitzt.
Dieses erfordert neue innovative und nachhaltige Mobilitätskonzepte.

Nachhaltigkeit
Längst ist nicht nur wissenschaftlich, sondern auch gesellschaftlich anerkannt, dass wir nicht mehr auf Kosten anderer, insbesondere nachfolgender Generationen, leben dürfen. Zukünftige Mobilität muss sich daher an den Merkmalen der Nachhaltigkeit orientieren.
Sie „lässt sich … definieren als die ökologisch verträgliche und sozial gerechte Gestaltung und Gewährleistung der Erreichbarkeit von Einrichtungen und Kommunikationszugängen auf der Grundlage nichtfossiler energetischer Ressourcen“ (Rammler, Stephan (2017): Volk ohne Wagen. Fischer Taschenbuch. Frankfurt am Main. S. 137).
Der Straßenverkehr verbraucht den größten Teil des weltweit geförderten Erdöls. Der nötige Zugang zu günstigem Erdöl hat geopolitisch zu vielen Konflikten geführt, die andernfalls evtl. gar nicht oder nicht so massiv entstanden wären.
Aus diesem Grund, aber auch vor dem Hintergrund des Klimawandels ist eine Mobilitätswende schnellstmöglich zu vollziehen.

Digitalisierung
Die digitalen Player aus dem Silicon Valley und zunehmend auch aus China sind gerade dabei, intelligente Ausgestaltungen von Mobilitätssystemen zu entwickeln, z. B. zur Automatisierung des Mobilitätsprozesses, zur Vernetzung von Fahrzeugen und Verkehrssystemen, zur Integration von Navigations-, Informations- und Entertainmentsystemen, aber auch zur Optimierung von Telekommunikation und logistischen Prozessen als Beitrag zur Verkehrsvermeidung.
Hier liegen trotz aller Risiken, die mit eine Digitalisierung der Mobilität verbunden sind (Angreifbarkeit von IT-Systemen, Bereitstellung notwendiger Mengen an Ressourcen und Energie, mögliche unerwünschte Reboundeffekte auf andere Bereiche etc.), enorme Chancen zur Beschleunigung und Verwirklichung einer dringend erforderlichen Mobilitätswende.

„Das Automobil ist … aus Sicht der schon heute sehr spürbaren Engpässe an Ressourcen, Raum und sauberer Luft zu einem volks- wie betriebswirtschaftlich geradezu „dummen“ Produkt geworden. Jedoch: Knappheit erzeugt Kreativität – aus dieser Warte heraus hat der Traum von einer wirklich intelligenten Mobilität womöglich gerade erst begonnen“, meint Prof. Rammler (Rammler, Stephan (2017): Volk ohne Wagen. Fischer Taschenbuch. Frankfurt am Main. S. 29).

Eine zukünftig intelligente Mobilität wird sich in folgenden Themenfeldern zeigen:

  • Elektrifizierung der Mobilität, d. h. eine Abkehr vom Verbrennungsmotor z. B. durch Elektroautos.
  • Automatisierung der Mobilität, d. h. das autonome, nicht mehr selbst gesteuerte Fahren von Autos, aber auch von LKW, Bahnen, Drohnen etc.
  • Vernetzung, d. h. die Nutzung einer lückenlosen Verkehrskette von verschiedenen Verkehrsmitteln.
  • Sharing Economy, d. h. ein Auto nicht mehr selbst zu besitzen, sondern über Car- und Ride-Sharing-Angebote zu teilen.
  • Radkultur, d. h. bequem und sicher kürzere Wege anstatt mit dem Auto mit dem Fahrrad zurückzulegen und so auch als Gesundheitsvorsorge für mehr Bewegung zu sorgen.

Es ist der Zeitpunkt gekommen, nun die dringend benötigte Mobilitätswende herbeizuführen. Dieser Transformationsprozess kann nur gelingen, wenn eine Gesellschaft diesen Kulturwandel auch wirklich will. So hat die Politik als erstes ihre führende Rolle in diesem Prozess wahrzunehmen und für die nötigen Rahmenbedingungen zu sorgen. Die Automobilindustrie muss den Mut aufbringen, sich vom Verbrennungsmotor schnellstmöglich zu verabschieden und sich in Kooperationen mit anderen Playern der Mobilitätsindustrie den nachhaltigen Mobilitätsangeboten der Zukunft zuzuwenden. Und der Verbraucher muss sich für die nachhaltigen Mobilitätsangebote der Zukunft öffnen und sein eigenes Verhalten entsprechend ändern.

Das Vorzeigebeispiel Kopenhagen zeigt, wie ein solcher Prozess gelingen kann. In der Fahrradhauptstadt der Welt wird in naher Zukunft ein Fahrradanteil von über 60 % im Berufsverkehr erwartet. Um das zu erreichen, wurden rd. 1.000 kmStraßenfläche für den Radverkehr umgewidmet, dem Auto quasi weggenommen. Es wurde mehr Raum zum Flanieren geschaffen und viel Grün in die Stadt zurückgeholt. Parkmöglichkeiten für Autos wurden sukzessive aufgegeben und die verbliebenen Parkplätze bewirtschaftet. Das richtige Parken wird streng überwacht und das Falschparken rigoros geahndet. Parallel wird auf ein leistungsfähiges öffentliches Verkehrsnetz, die Förderung von Sharing-Angeboten sowie eines nachhaltigen Güterverkehrs über Lastenräder gesetzt. Das Auto tritt immer weiter in den Hintergrund und Autofahrer müssen sich den neuen Spielregeln anpassen.

In diesem Prozess der Mobilitätswende wird man – wie in Kopenhagen – schlussendlich erkennen, dass die Abkehr von der Automobilität, wie wir sie heute kennen und lieben, keinen Verzicht, sondern einen Fortschritt zu einer viel besseren Mobilität bedeutet.

Für weitere und tiefergehende Informationen und Gedanken empfehlen wir das Buch „Volk ohne Wagen. Streitschrift für eine neue Mobilität“ von Prof. Dr. Rammler. Es ist im Juli 2017 als Fischer-Taschenbuch erschienen und für 10 EUR bereits in der zweiten Auflage erhältlich. Um unnötigen Güterverkehr zu vermeiden, bestellt dieses Buch bitte nicht im Internet, sondern kauft es lokal bei einem Buchhändler. Und um den Sharing-Gedanken von Prof. Rammler aufzugreifen, kann das Buch bei uns auch gegen eine kleine Spende ausgeliehen werden. Bei Interesse schickt uns einfach ein kurze E-Mail an info [ät] buchholz-faehrt-rad.de

Unser Mitglied Carsten Stein war vor Kurzem in Kopenhagen und hat beeindruckende Fotos mitgebracht, die die zuvor genannten Ausführungen zu Kopenhagen bestätigen. Schaut selbst:

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